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alle mathematischen Erkenntnisse angeboren nennen. Meint man aber mit jener Antwort das Zweite, dass nämlich zugleich mit dem ersten Vernunftgebrauch dass Bewusstseyn jener Principien gesetzt sey, so ist die Behauptung falsch, und die Folgerungen daraus übereilt. Die Behauptung ist falsch, weil diese Maximen viel später zum Bewusstseyn kommen, als viele andere Erkenntnisse, und Kinder z. B. viele Beweise ihres Vernunftgebrauches geben, ehe sie wissen, dass ein Ding unmöglich seyn und nicht seyn könne. Es ist nur richtig, dass ohne Rasonnement Niemand zum Bewusstseyn jener Grundsätze kommt, dass aber mit dem ersten Räsonnement auch jene Sätze gewusst werden, ist falsch. Vielmehr sind die ersten Erkenntnisse überhaupt keine allgemeinen Sätze, sondern betreffen die einzelnen Eindrücke. Lange ehe das Kind jenen Satz erkennt, weiss es, dass süss nicht bitter ist. Wer sich recht besinnt, wird schwerlich behaupten wollen, dass die particularen Sätze, wie „Büss ist nicht bitter," aus den allgemeinen abgeleitet seyen. Wären die allgemeinen Sätze angeboren, so müssten sie aber dem Kinde auch zuerst zum Bewusstseyn kommen, denn es wäre nicht zu begreifen, wie das, was die Natur in ihre Seele geprägt hat, nicht früher zum Bewusstseyn kommen mass als das, was sie nicht in die Seele geschrieben hat. Dies behaupten hiesse sagen, dass die Natur ihr Ziel verfehlt, oder dass sie wenigstens sehr whlecht geschrieben hat. Wäre es aber auch wahr,

dass sogleich mit dem ersten Vernunftgebrauch jene Wahrheiten zum Bewusstseyn kommen und allgemein anerkannt werden, so würde auch dann die Folgerung, dass sie angeboren sind, übereilt seyn. Die Zustimmung nämlich zu gewissen Wahrheiten hängt weder von ihrem Angeborenseyn ab, noch auch vom Räsonnement, sondern, wie sich später zeigen wird, von einer ganz anderen Function des Geistes. Wie kann daher das Angeborenseyn einer Erkenntniss daraus gefolgert werden, dass sie zu derselben Zeit Zustimmung erfährt, wo eine Function des Geistes, die Nichts mit der Zustimmung zu thun hat, zu wirken beginnt? Endlich aber, wenn man auch alles dieses ganz bei Seite liesse, so kann die allgemeine Zustimmung, welche diese Sätze erfahren, deswegen Nichts für ihr Angeborenseyn beweisen, weil sonst nicht nur alle mathematischen, sondern alle Wahrheiten überhaupt angeboren wären. Jene angeführten Sätze haben nicht mehr Anspruch darauf, für angeborne zu gelten, als alle übrigen; haben wir aber von ihnen gefunden, dass sie nicht angeboren sind, so werden es andere theoretische Sätze eben so wenig seyn. 4) Ist nun von den theoretischen Grundsätzen nachgewiesen, dass sie nicht angeboren sind, so lässt sich dies von den praktischen und moralischen noch leichter darthun. Sie können es deswegen nicht sein, weil jeder praktische Grundsatz einen Beweis verlangt, woraus offenbar folgt, dass er nicht durch sich selbst evident ist, sondern

auf Vernunftschlüssen beruht. Ferner: Würde es praktische Grundsätze geben, die wirklich angeboren sind, so müssten diese allgemeine Geltung haben. Nicht als wenn die allgemeine Gültigkeit eines solchen Grundsatzes sein Angeborenseyn bewiese, denn da nach Gottes Ordnung die Tugend glücklich macht, sie auch im geselligen Verkehre Nutzen gewährt, so könnte es sehr gut seyn, dass Alle, weil es ihren Nutzen fördert, die Tugend preisen und anempfehlen. Also, wenn es auch allgemein anerkannte moralische Grundsätze gäbe, so würde dies Nichts beweisen; es gibt aber auch keine. Der angeborne Trieb nach Wohlseyn, so wie die angeborne Abneigung gegen Schmerz kann nicht angeführt werden, denn dies sind Willensneigungen, aber nicht Grundsätze, nicht Wahrheiten. Selbst der höchste von diesen:,,Thue wie du willst dass dir geschehe," wird nicht befolgt, und wenn das Nichtbefolgen auch nicht beweisst, dass die Regel nicht gekannt wird, so ist doch, wenn ganze Nationen es öffentlich bekennen, dass irgend eine moralische Regel nicht befolgt werden müsse, dies ein offenbarer Beweis, dass diese Regel keine angeborne Wahrheit seyn kann. Nun lehrt aber wirklich das Beispiel der verschiednen Völker, dass es keine moralische Regel gibt, welche bei allen Völkern Geltung hat. Am leichtesten machen sich's freilich die, welche sagen, dass dort die angebornen moralischen Grundsätze durch Erziehung, Gewohnheit u. s. w. verdunkelt, oder

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gar verschwunden seyen dies heisst eigentlich seine particulare Ueberzeugung zur allgemeinen Norm machen aber wenn diese angebornen Grundsätze entstellt und verdunkelt werden können, so würden wir sie bei Kindern und Ungebildeten in ihrer grössten Reinheit finden, können sie aber nicht entstellt oder erstickt werden, so müssten sie bei Allen gelten. Wofür man sich entscheiden möge, immer wird man mit der Erfahrung in Widerspruch treten, so dass Nichts übrig bleibt, als auch hinsichtlich der praktischen Grundsätze zuzugestehn, dass es keine angebornen gibt. 5)

Dass es aber weder theoretische noch praktische Grundsätze, die angeboren sind, geben kann, erhellt leicht, wenn man, die als solche angegeben werden, näher betrachtet. Jeder dieser Sätze besteht nämlich als Satz aus mehreren Ideen, sind diese nicht angeboren, so können es auch die Sätze nicht seyn, die aus ihnen gebildet werden. Wie wenige Ideen aber bringt ein Kind auf die Welt? Will man, wie man doch muss, wenn man den Satz des Widerspruchs für eine angeborne Erkenntniss ansieht, behaupten, dass das Kind die Begriffe Unmöglich und Selbigkeit schon habe, Begriffe, die so weit von den Gedanken des Kindes entfernt sind, dass sie (der letztere z. B.) vielen Erwachsenen noch fehlen? Ist es bei einer Idee wichtig, zu wissen ob sie angeboren ist oder nicht, so ist dies der Fall bei der Gottes-Idee, da von ihr alle moralischen Grundsätze abhängen, indem der Begriff

eines Gesetzes einen Gesetzgeber voraussetzt. Hátten nun auch wirklich alle Menschen diese Idee (die Atheisten nicht nur, sondern eigentlich auch alle, die eine Mehrheit von Göttern lehren, zeigen, dass dem nicht so ist) so würde daraus nicht folgen, dass sie angeboren ist, denn es konnte wohl ein vernünftiges Geschöpf, wie der Mensch ist, indem es die Weisheit Gottes in Allem anschaute, za dieser Idee durch Vernunftschlüsse kommen. Man pflegt nun wohl, wenn man auf die Atheisten hinweist, zu sagen: alle weisen Männer hätten diese Idee. Würde daraus folgen, dass sie angeboren ist, so müsste man dies auch von der Tugend sagen. - Ein andres Räsonnement ist dieses: es lasse sich von Gott wohl erwarten, dass er hinsichtlich einer so wichtigen Wahrheit den Menschen nicht werde im Dunkeln gelassen haben. Allein dieses Argument beweist zu viel, da mit demselben Grunde man auch sagen könnte, es lasse sich von Gott erwarten, dass er hinsichtlich aller Wahrheit den Menschen nicht im Dunkeln lassen werde. Uebrigens hat Gott seine Güte durchaus nicht ver- ' leugnet, wenn er dem Menschen zwar keine angebornen Ideen, wohl aber die Fähigkeit gegeben hat, durch Anwendung seiner Vernunft alles das zu finden, was ihm Noth thut. Auch hier sucht man endlich vergeblich eine Ausflucht, wie oben bei den Grundsätzen, wenn man sagt, die ewigen Ideen seyen wohl in dem Verstande, aber unbewusst. Eine Idee, die wirklich im Verstande ist, muss II, I. 3

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