Die Veranlassung dazu habe ihm, sagt er, eine Unterredung mit mehreren Freunden über einen ganz andern Gegenstand gegeben, in welcher es, weil man immer mehr sich in unauflösbare Zweifel verwickelt fand, ihm klar wurde, dass, ehe man sich in solche Untersuchungen einlasse, nothwendig erst unsere eignen Fähigkeiten untersucht sein müssten, um zu sehen, welche Gegenstände unser Verstand ohne Anmassung seiner Untersuchung unterwerfen dürfe, so wie, welchen er nicht gewachsen sei. Aus den Gedanken, welche bei jener Gelegenheit aufgeschrieben wurden, sei nachher dieses Werk erwachsen. Es liegt ihm der Gedanke zu Grunde, dass der erste Schritt zu jeder gründlichen Untersuchung damit gemacht werden müsse, dass man erst einen Ueberblick über das eigne Erkenntnissvermögen gewinnt, seine Fähigkeiten prüft, und zusieht, welche Gegenstände in das Bereich seiner Macht fallen. Gelingt eine solche Untersuchung, so dass daraus erhellt, wie weit das Gebiet unseres Verstandes reicht, welche Dinge, und in wie weit sie ihm zugänglich sind, welche nicht, so wird dies unser Nachdenken dazu bringen, dort stille zu stehn, wo es an der Grenze unseres Erkenntnissvermögens anlangte, und ruhig auf die Erkenntniss der Dinge zu verzichten, die darüber hinaus liegen. Begibt man sich aber, nicht durch eine solche Untersuchung gewarnt, in die Tiefen, wo der Verstand keinen festen Fuss fassen kann, so ists kein Wunder, wenn immer neue Fragen und Streitigkeiten entstehn, welche, weil sie zu kemem Schluss kommen können, nur die Zweifel mehren, und endlich einen völligen Skepticismus zur Folge haben. Um nun aber einen solchen Leberblick zu gewinnen, gibt es nur einen Weg, dass man nämlich das Erkennen selbst zu seinem Objecte macht, nicht sowol um eine metaphysische oder gleichsam physiologische Erkenntniss von dem Wesen des Geistes und seiner Natur zu erlangen, sondern nur, um die verschiedenen Weisen zu erkennen, in welchen der Verstand thatig ist, wenn er sich mit Objecten beschäftigt. 1) So sehr auch die Satze noch völlig dieselbe Aufgabe zu enthalten scheinen, welche später Kant zu lösen sich vorgesetzt hat, so tritt doch der grosse Unterschied zwischen Locke und Kant sehr bald hervor, ein Unterschied, welcher uns nicht befremden kann, da bei beiden Denkern das Resultat ihrer Untersuchung eigentlich vor der Untersuchung fertig war. Wie nämlich die Kritik der reinen Vernunft es gleich anfänglich als gewiss voraussetzt, dass es zweierlei Erkenntnisse gebe, die aus der Erfahrung stammen, und die nicht aus ihr stammen, eben so ist dem Locke die Gewissheit, dass alle Erkenntniss aus der Erfahrung entspringt, das, wovon er ausgeht. Daher ist sogleich die Verfahrungsweise bei beiden Philosophen verschieden. Jenes reflectirende Verfahren, welches Locke als das geeignete zu seiner Untersuchung angibt, ist wesentlich von dem unterschieden, was Kant eine transscendentale Erkenntniss nennt. Eine transscendentale Erkenntniss ist nach Kant *) diejenige, welche sich beschäftigt nicht mit Gegenständen, ,,sondern mit unserer Erkenntnissart, sofern diese a priori möglich sein soll." Locke dagegen schliesst gleich anfänglich (stillschweigend) alles a priori Erkennen aus, daher ist seine Untersuchung keine transscendentale, sie ist rein empirischer Art. Seine Untersuchung will nur eine descriptive Darstellung dessen sein, was ihm die blosse Beobachtung des Verstandes gezeigt hat, so will er als seine einzige Aufgabe dies anerkennen, möglichst treu der Natur des Verstandes zu folgen, und sein Thun beim Denken zu beschreiben. Er ist also bei dieser Untersuchung reiner Empiriker, weil er voraussetzt, dass nur der Empiriker wirklich erkenne. Da nun aber zu einer solchen Beobachtung kein andrer Verstand gegeben ist, als nur der eigne, so ist jene Beobachtung Selbstbeobachtung; die Beschreibung wird daher zunächst freilich nur zeigen können, wie der eigne Verstand denkt, es wird aber dabei vorausgesetzt, dass auch der Verstand Andrer kein andres Verfahren beobachte. Das, was im Acte des Denkens das Object des Verstandes ist, bezeichnet Locke mit dem Worte Idee, so dass darunter alles das mit befasst ist, was man sonst wohl Vorstellung, Begriff, Bild u. s. w. zu nennen pflegt, und nichts anderes dar *) Kara Kr. d. r. Fn. 5te Auf. Eial. p. 25. = anter zu verstehen ist, als was im Acte des Den. kens das unmittelbare Object unseres Verstandes ist. Das Wort Begriff braucht er bloss für eine bestimmte Art von Ideen. Im Gebrauch des Wortes Idee trifft Locke also darin mit Malebranche zusammen, dass Beiden das eigentliche Object des Denkeus nicht das Ding ist, sondern die Idee davon, nur dass bei Locke von einer ewigen (Prä-) Existenz der Ideen nicht die Rede seyn kann. Eben weil Ideen zu haben das Resultat der Thätigkeit des Verstandes ist, kann die ganze Untersuchung, welche es mit der Beobachtung der Functionen des Verstandes zu thun hat, mit eben dem Rechte eine Untersuchung über die Ideen genannt werden, da Denken Ideen haben. Demgemäss wird nun als der Gang der ganzen Untersuchung dieser bezeichnet: Zuerst soll untersucht werden, welches der Ursprung der Ideen ist, welche der Mensch in sich findet, und wie er zu ihnen kommt. Fürs Zweite soll gezeigt werden, was denn der Verstand an diesen Ideen eigentlich hat, und wie weit das Bereich derselben, so wie ihre Evidenz geht (Inhalt und Umfang der Ideen). Endlich sollen sich daran Untersuchungen über die Natur und die Gründe des Fürwahrhaltens, so wie über die verschiedenen Grade desselben schliessen. Der erste Punkt wird nun im ersten Buche negativ, positiv im Anfange des zweiten erörtert; den zweiten behandelt das ganze übrige zweite Buch; er wird besonders ausführlich von Locke behandelt; der dritte Punkt findet seine Erörterung besonders im vierten Buche; das dritte Buch endlich enthält eine eingeschobene Untersuchung über die Bedeutung der Sprache für das Denken, so wie Warnungen gegen den Missbrauch der Worte, da ein grosser Theil der Missverständnisse und Irrungen nach Locke nur darin seinen Grund hat, dass Worte mit wenig oder gar keinem Sinn als Zeichen besonders tiefer Speculation gelten, während sie eigentlich nur eine leere Stelle in unserer Erkenntniss anzeigen. 2) Dem angegebenen Plane gemäss beschäftigt sich nun die Untersuchung zuerst mit dem Ursprunge der Ideen, und zwar hat sie zunächst einen nur negativen Character, indem sie zu zeigen sucht, dass die Meinung, als gebe es angeborne Erkenntnisse und Ideen, irrig sey. Dieses durchzuführen ist die Aufgabe des ersten Buches. Es ist nämlich bei Vielen eine ganz feststehende Meinung, dass es im Verstande gewisse, Allen gemeinsame, Principien gebe, xoval evvoia, welche unsere Seele gleich mit ihrem Entstehen empfange und mit auf die Welt bringe. Zwar müsste eigentlich jeder Unbefangene jene Meinung für grundlos halten, sobald man zeigte, dass der Mensch, auch ohne dass sie ihm angeboren sind, durch seinen blossen Vernunftgebrauch zum Besitz jener Erkenntnisse eben so kommen kann, wie der, welcher ein sehendes Auge hat, zur Idee von Farbe kommt, ohne dass sie ihm angeboren ist, allein weil |