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der altepischen Rede (eine von der realistischen Situation aus betrachtete unangemessene Erweiterung, indem die Rede, zwecks Aufnahme neuen epischen Stoffes, zur Erzählung wird) nur dann Gebrauch, wenn sich die Einschaltung aus der Situation genügend motivieren läßt, d. h. zur Handlung etwas Wesentliches beiträgt1). Mit andern Worten: bei Virgil schon kündigt sich, freilich schüchtern erst, jene neue Form der Rede an, die wir in der deutschen und französischen Epik in immer kräftigeren Ansätzen antreffen und die im ersten Monumentalwerk der mittelalterlichen Literatur, in Dantes «Divina Commedia>>, zu einem machtvollen Ausdruck kommt: die heroisch-realistische Rede, die in ihrer modernen Spaltung als sentimentalische und naturalistische Rede erscheint.

Schwartzkopff hat, wie schon bemerkt, ein merkwürdiges Abnehmen der (direkten) Rede vom Heliand und Otfried an und ein gewaltiges Wiederanschwellen in der Blütezeit konstatiert 2). Eine ähnliche Feststellung läßt sich auf altfranzösischem Gebiete machen. Die Linie steigt von der redelosen Eulaliasequenz und dem redearmen Leodegarliede rapid über das einen Wendepunkt darstellende Alexiuslied zum Redereichtum des Volksepos und des höfischen Versromans3). Die indirekte (und erzählte) Rede spielt in diesen ältesten Denkmälern beider Literaturen schon eine nicht zu unterschätzende Rolle1). Welchem

1) S. Heinze, zit. S. 396f. Virgil verwendet auch schon die indirekte Rede.

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2) Einige Zahlen (Prozentzahl der Redeverse): Beowulf 38; Heliand 40; Otfried 42; Georgslied 0; Merigarto 0; Annolied 0; Rolandslied 43; Hartmann, Iwein 52,2; Wolfram, Parzival B. I. VII. 36,4; Nibelungen 36,7; Tristan 26; Meier Helmbrecht 59,5. 3) Direkte Redeverse (in Prozenten): Eulalia 0; Leodegarlied 3,7; Alexiuslied 29,8 (in den ersten 335 Versen, d. h. bis zum Tode des Alexius, finden sich aber nur 68 20,3%; im zweiten Teil nehmen die Klagereden des Vaters, der Mutter und der Braut einen wichtigen Platz ein. Dem epischen ersten gegenüber hat dieser daher einen mehr lyrischen Charakter); Chanson de Roland 43,6; Couronnement Louis 52. S. auch S. 25 Anm. 2. Indirekte Rede: Eulalia 10,3; Leodegar 5,8 und mehrere erzählte Reden; Alexius 5,1; Chanson de Rol. 2,2; Couronnement Louis 2,7. S. auch S. 25 Anm. 1.

4) S. oben Anm. 3. Über die indirekte Rede in der altgermanischen erzählenden Dichtung schreibt A. Heusler (Der Dialog in der Ganther, Probleme der Rededarstellung.

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Umstande sind diese Schwankungen zuzuschreiben? Handelt es sich in jenen redearmen Werken um nicht ausgestaltete Dichtungen, um ledigliche Entwürfe? Schwartzkopff scheint dieser Ansicht zuzuneigen1). Der Heliand mit seiner Bevorzugung der indirekten Rede vertritt nach ihm (S. 8) indessen die Erzählweise des größten Teiles der alt- und frühmittelhochdeutschen Erzählung bis zum Beginn der sogenannten Blütezeit, und in Otfried mit seiner stärker betonten direkten Rede sieht er den Vertreter der modernen Zeit, die ihre Höhe erreicht mit Gottfried von Straßburg und den Nibelungen. Auch findet er (S. 8-9), daß die redelose Erzählung des Muspilli keine geringere, wohl aber eine andersartige Lebendigkeit habe als die redereiche des Otfried.,,Ihre ganze Kraft strahlt aus direkt von der Persönlichkeit des Erzählers, von Dingen, die er sieht, nicht von Menschen, die er ins Leben ruft, und die wie er sprechen". Es handelt sich also um typische Unterschiede und ein Dichter kann der einen oder anderen Reihe altgerm, erzählenden Dichtung. Zschr. f. deutsches Altertum Bd. 46, S. 243):,,Indirekte Rede kommt in kleinen Ansätzen schon in den ältesten Stücken vor, gibt sich aber im ganzen als junges Stilmittel zu erkennen und gewährt, mit anderen inhaltlichen und formalen Merkzeichen, eine Handhabe für die Bestimmung der stilistischen Altersstufen. Von den Eddaliedern sind es nur drei, der jüngeren Schicht angehörig, die etwas ausgedehnteren Gebrauch von oratio obliqua machen . . . Die westgermanische weltliche Dichtung hat indirekte Rede mehrmals, wo etwas aus der Vergangenheit nachgetragen wird. . . Reich an indirekter Rede ist nur die geistliche Dichtung der Sachsen; sie läßt die der Engländer weit zurück.“

1),,Nun aber ist das Verhältnis tatsächlich in den meisten Fällen nicht, wie wir bisher stillschweigend gelten ließen: Ausgeführt in indirekter Rede und Ausgeführt in direkter Rede, sondern Angelegt, skizziert in indirekter und erzählter Rede, wie es die Skizzen und Szenen der Dramatiker noch heute zeigen oder das lutzto unvollendete Buch des Thukydides, wo die Reden erzählt skizziert sind, Ausgeführt einzig in der direkten Rede. Jedes große Dichtwerk mit dramatischen Reden hat mindestens eine geistige, psychische Vorstufe, wo die Geschehnisse und Gefühlsfolgen da waren, aber die Reden, die letzte feinste Ausgestaltung, noch nicht. So erklärt sich nun auch das Verschwinden der redelosen Cedichte in der Zeit der Blüte, das Verschwinden der schlichten, unserer Tageserzählung so nahen Erzählart des Georgsliedes, und besonders des Merigarto. Das Anschwellen der direkten Rede zoigt das Zunehmen des Interesses am Menschen. . ." S. 5.

angehören. Der Einführung der indirekten Rede (die Schwartzkopff übrigens von der lateinischen oratio obliqua unbeeinflußt glaubt) geht daher eine interessante und sich in der Folge immer mehr akzentuierende Stilspaltung parallel. Schwartzkopff widerlegt, ohne es zu wollen, seine eigenen Worte. Die Verhältnisse liegen in der Mehrzahl der Fälle eben doch so: Ausgeführt in indirekter Rede und Ausgeführt in direkter Rede. Und warum sollte denn die abhängige Rede nicht auch mithelfen können, einem Kunstwerke stilistisch den Vollendungscharakter aufzudrücken?

Auf was für Gründe aber läßt sich die wachsende Verwendung der abhängigen Rede zurückführen? Tut sich darin nicht vielleicht der Beginn einer neuen Geistesverfassung kund? Die indirekte Rede in der Dichtung ist ein Abbild von Gewohnheiten in der Umgangssprache. Und wie die syntaktische Schöpfung der abhängigen Rede von einer erreichten höheren Geistesstufe zeugt, d. h. von einem allmählichen Überwinden einer chaotisch auseinanderfallenden inneren Welt, so scheint ihr Auftreten in der Poesie einer langsamen Milderung des Abstraktions- d. h. des Stilisierungsbedürfnisses in der Kunst zu entsprechen1). Daß Dichter anfangen, sich eines typischen

1) Darf man nicht auch das Auftauchen der Chorrede in diesen Zusammenhang bringen? Schwartzkopff S. 17:,,Die Chorrede, dieser Ausdruck des gemeinsamen Fühlens und Wollens größerer und kleinerer Gemeinschaften, kommt in der heidnisch-germanischen Epik nur selten vor und ist in der christlichen häufig. Das weist tiefer als auf eine literarische Abhängigkeit von griechisch-römischer Literatur, obwohl natürlich auch eine solche vorhanden ist. Der künstlerische Ausdruck der Chorrede ist in den Eddaliedern so selten, weil die Sache, die sie ausdrückt, so selten vorkommt. Die heidnisch-germanische Welt betont die Gegensätze der Einzelnen, ist durch und durch individualistisch, die christlich-germanische betont das Gemeinsamo, ist sozial gerichtet."

Sobald sich aber das künstlerische Gefühl, auf anderer Grundlage freilich, in der mittelalterlich höfischen Dichtung wieder individualisiert, wird die Chorrede seltener. Hat die Chanson de Roland auf 4656 Verse 77 Chorreden, so Chrestiens Cligès auf 6784 V. nur noch 13. Wenn sie bei Gottfried von Straßburg ein beliebtes Kunstmittel ist (die 19 000 Verse des Tristan haben 70, die 24000 des Parzival nur 20), so liegt der Grund, meint Schwartzkopff S. 21, mehr in der eigentümlichen Begabung des Dichters als im Wesen seines Stoffes.

Sprachmittels der Mitteilung zu bedienen (denn die indirekte Rede hat einen mitteilenden Charakter), beweist, daß Spannung zwischen Ausdruck und Mitteilung in einzelnen Individuen sich zu lockern beginnt und daß der soziale Trieb sich auch in der Kunst dem abstrahierenden zu nahen wagt. Mit der indirekten Rede tritt eine gewisse Ruhe und Heiterkeit, zugleich aber auch eine neue Energie in die Dichtung ein. ihr drückt sich ein vertraulicheres Verhältnis von Mensch zu Mensch aus, eben weil sie vom Alltag und seinen Bedürfnissen herrührt. Ist es nicht merkwürdig, daß sie gerade in der geistlichen Dichtung besonders häufig auftritt? Das Christentum hat die Grundlagen des sozialen Lebensgefühls verbreitert und vertieft. Die direkte Rede aber bedeutet Isolierung des Einzelnen von seiner Umwelt: in ihr vergrößert sich in der erzählerischen Projektion der Schatten des individuellen Schicksals. Die indirekte hingegen betont das normale, umweltverflochtene Sein des Menschen. Mit der Zunahme der abhängigen Rede in der Literatur geht das (fakultative) Hinübergleiten der stilisierenden in die realistische direkte Rede Hand in Hand.

In der altfranzösischen Literatur sind die Eulaliasequenz, das Leodegar- und das Alexiuslied typische Beispiele des neuen Erzählergeistes. Das Heldentum der Heiligen, die sie besingen, ist ein seelisches, mehr passives Heldentum, eingesenkt in stille Resignation. Jede Pathetik bleibt der Darstellung fern, die Eulaliasequenz und das Leodegarlied sind knapper, zusammenfassender Bericht. Der künstlerisch hochstehende Verfasser des Alexiusliedes weiß das rapid mitteilende und das expressiv retardierende Moment in ein stilistisch äußerst wirksames Verhältnis zu bringen und verfügt schon souverän über die Ankündigungstechnik1). Wie wundervoll heben sich die lyrisch so beschwingten Klagereden des Vaters, der Mutter und der

1) Von den 35 Ankündigungen schließen 8 mit der Zeile, 8 in der Zeile, 13 sind eingeschoben (dame, dist ele, jo ai fait si grant perte!), und 6 sind sog. freie Ankündigungen (d. h. solche, die wohl Rede erwarten lassen, abor nicht direkt mit einem Aussageverbum auf sie hinweisen: Quant ot li pedre la clamour de son fil, plourent si ueil, ne s'en puet astenir: por mon chier ami . . .»). Welches künstlerische Gleichgewicht drückt sich schon in diesen unscheinbaren Tatsachen aus! · Interessant ist auch die Feststellung, daß sich im Leodogarlied nur zwei, im Alexius dagegen gegen 30 Imperfekte finden.

«por amour Deu e

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Braut des Alexius von der vorwärtsdrängenden Erzählung ab! Alexius selber spricht nur sechs Mal in direkter Rede (26 V.)1); die ganze Darstellung aber konzentriert sich streng um seine Gestalt und rückt sie ins Licht. Die Chorreden werden gedämpft indirekt wiedergegeben und betreffen zumeist Bitten: flehend aufgehobene Hände im Hintergrund der Szene.

Die stilisierende und die realistische Tendenz kommen im Volksepos vereinigt zum Vorschein, ja es ist vielleicht dessen eigentümlichster Zug, eine gewisse Realistik der Rede mit dem lyrisch stilisierenden Moment verbinden zu wollen. Noch aber fühlt man zuweilen ein plötzliches Auseinanderfallen und Voneinanderwegstreben dieser Teile, ein oft fast schmerzliches Unvermögen, das erlösende Gleichgewicht zu finden. Das wird besonders in der «Chanson de Roland» deutlich 2). Deren innere und äußere Anlage ist stilisierend: die Charaktere und die Situationsschilderung, die Laissen-Form, die stark hervortretende Symmetrie in der szenischen Gliederung (besonders des ersten Teiles) und in der Anordnung der Reden3), die große Zahl der

1) 66-70: an seine Braut, 216-20: an seinen Vater, 281-82: an einen Diener. Die drei übrigen (59-60, 187-88, 201-10) sind Gedankenreden. Alle sechs sind rhythmisch hervorgehoben. Beachtenswert ist die künstlerische Zurückhaltung des Dichters in der auch psychologisch so feinen und bedeutsamen Szene am Hochzeitsabend: die Braut spricht nicht und die Worte des Alexius sind nach einem zweizeiligen Monolog zuerst in indirekter und dann eine Strophe weit in direkter Rede wiedergegeben. Die Gelegenheit zu moralisierender Verbreiterung der Szene läßt der Dichter unbenutzt. Die späteren Redaktionen des Alexiusliedes (s. G. Paris et L. Pannier, La vie de Saint Alexis. Paris 1887) haben gerade diese unglaublich verwässert.

2) Das Nibelungenlied ist viel schärfer realistisch, der, Stil' wird kaum mehr fühlbar. Vgl. Singer, Vom Geiste neuer Literaturforschung. Festschrift Walzel S. 13; R. Fischer, Zu den Kunstformen des mittelalterlichen Epos. 1899. S. 199; Heusler, zit. S. 224f.

3) Typische Beispiele davon die Szenen 617-41 (Ausg. Stengel): die Reden Valdabruns, Climborins und Bramimundes an Ganelon haben je sieben Verse. Ganelon antwortet auf jede mit einem Verse; 1059–1081m: dreimaliger Anruf Rolands durch Oliviers (übrigens die drei einzigen unangekündigten Reden des ganzen Gedichts, auch rhythmisch durch den Beginn mit dem Verse und durch den Schluß mit der Zeile hervorgehoben) und Antwort

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