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Schluß.

Die Rededarstellung und die philosophischen Typen.

Was sich in ganz allgemeinen Zügen schon aus der stilpsychologischen Betrachtung der direkten, indirekten und erlebten Rede ergeben, ist in der Darstellung ihrer Entwicklungsgeschichte und ihrer Beziehung zu einzelnen Werken und Dichtern noch klarer in Erscheinung getreten: daß in der Ausbildung und Verwendung dieser Formen geistesgeschichtliche Zusammenhänge tätig sind, deren Wirkung in vielen Fällen in völlig unzweideutiger Weise sichtbar wird. Verwundern kann das nur den, der in Stilphänomenen wenig mehr als Zufälligkeiten, nicht aber Ausstrahlungen geistiger Zustände, Begebenheiten und Verschiebungen erblickt. Die Behandlung der Rede insonderheit gehört beim spontanen, sich über seine Kunstmittel wenig Rechenschaft ablegenden Dichter zu den Stilproblemen, die tief in den Untergründen geistigen Gehabens verwurzelt sind und darum oft einen überraschenden Einblick in künstlerische Wesenheiten gewähren. In ihr drückt sich das Maß des Sehens aus, in ihr spiegeln sich Temperament und Weltgefühl wieder.

Die (stilisierte) direkte Rede eignet vor allem dem „abstrahierenden" Dichter, der am Zwiespalt zwischen seinem leidenschaftlichen Individualitätsbedürfnis und der Allgewalt des auf die feindliche Außenwelt bezogenen metaphysischen Erlebnisses leidet; der sich in sich selbst zurückzieht, um sich hier vor dem Ansturm der Objekte besser zur Wehr setzen zu können der Objekte, die er, um ein von Thomas Mann auf das Verhältnis von Schiller zu Goethe angewandtes Wort zu gebrauchen, „mit sehnsüchtiger Feindschaft liebt"; der darum die dargestellten Figuren in die Eigengewalt ihres Wortes stellt, sich am Klang ihrer Rede berauscht und sich an ihrer stolzen Einsamkeit innerlich aufrichtet; der großgeschaute Bilder zu schwerflüssigen Szenen aufbaut, in denen entweder das gefühlsmäßig musikalische Moment (Tasso, Klopstock) oder aber eine Realistik vortäuschende Fassadenplastik vorherrscht (Meyer, Spitteler).

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Die indirekte Rede symbolisiert weltanschaulich eine zunehmende Überwindung der „Abstraktion“; ihr allmähliches Eindringen in die Literatur entspricht - wie andererseits die Erhebung der realistischen direkten Rede in die Sphäre der Dichtung - einem sich auch in der Kunst offenbarenden Bedürfnis nach tieferer Wirklichkeitsnähe. Sie wird darum vom Schriftsteller bevorzugt, in dem sich der Geist der Natur gegenüber unabhängiger und herrschender fühlt, der von einem starken Persönlichkeitsbewußtsein durchdrungen ist und darum selbstherrlich im Reich seiner Gestalten schaltet und waltet; der sich um das energische Hinstellen einer Handlung mehr kümmert als um ihr Redegesprühe und dessen Szenen daher gedrängt aus einer machtvollen Einheit des Gedankens quellen (Alfieri, Gotthelf).

Die erlebte Rede, dieses Erzeugnis des modernen kritischeinfühlenden Bewußtseins, sagt besonders dem Dichter zu, der ausgeht von der im Gefühl sich darstellenden Einheit von Natur und Geist; der das Leben überall aus sich selber zu verstehen sucht; der als Mitspieler und Zuschauer zugleich im bunten Schauspiel des Lebens steht; der seine Gestalten ironischmitleidsvoll mit seiner Analyse durchdringt, ohne ihnen wehzutun; der jeder ihr eigenes Maß zu geben sucht und sie doch zusammenführen möchte zur menschlichen Harmonie, auch wenn das Schauspiel tragisch endet (Thomas Mann, Romain Rolland).

Kommt uns beim Anschauen dieser drei Geistesformen nicht unwillkürlich ein Name auf die Zunge: Dilthey? Besteht nicht zwischen ihnen und den drei philosophischen Typen eine auffallende Analogie? Wie die Außenwelt dem naturalistischen Typus als etwas übermächtiges, Fremdes erscheint, so steht der Mensch der (stilisierten) direkten Rede erschüttert vor dem Schauspiel des Unfaßlichen, das ihn umgibt; wie beim Idealisten der Freiheit die Willenshaltung die Weltanschauung bestimmt und ihn mit dem Gefühl der Unabhängigkeit des Geistes von der Natur durchdringt, so bekräftigt der Dichter der indirekten Rede bewußt oder unbewußt die Überlegenheit seiner Persönlichkeit; wie der objektive Idealist die ganze Wirklichkeit als Ausdruck eines Innern, als Entfaltung eines seelischen Zusammenhangs auffaßt, so sucht der Dichter der erlebten Rede in allem Geschehen die Manifestation eines göttlichen Weltganzen.

Nur der praktische Versuch, schreibt Rudolf Unger?), könne auf die Frage Antwort geben, ob sich auch in der Poesie, und vielleicht auch im Prosastil, künstlerische Gestaltungstypen unterscheiden lassen, die Diltheys weltanschaulichen entsprechen. Im Fall der Redebehandlung lassen sich, wie wir sehen, recht enge Beziehungen aufdecken).

Dennoch: Schlüsse dürfen nur mit äußerster Vorsicht gezogen werden. Die Verwendung einer Aussageart etikettiert keinen Dichter ohne weiteres nach dem jeweiligen Typus hin. Die Wirklichkeit ist ungeheuer komplizierter. „In einem Sprachlichen nisten unzählige seelische Attitüden": unsere Untersuchung hat dieses schon zitierte Wort Leo Spitzers nur bestätigen können (man denke etwa an die indirekte Rede bei Kleist und Gotthelf!). Bei jedem Schriftsteller kristallisieren sich die Stilformen in besonderer Weise um ihren magnetischen Mittelpunkt, und dieses seelische Zentrum bestimmt die Bedeutung einer Sprachgestalt. Nur von ihm aus kann eine Definition und Wertung möglich sein. Ein Wort Benedetto Croces über den Sinn abstrakter Einteilungen möge darum diese Arbeit beschließen: «E quale è il fine di quegli strumenti? Quello solo die aiutare l'attenzione a posarsi sul proprio e individuale, e, in quanto tale, logicamente ineffabile di una poesia o di altra opera d'arte; e perciò, se vengono sforzati, se da strumenti si torcono a criteri e a conclusioni, invece di aiutare l'intelligenza di quel proprio e individuale, impoveriscono l'oggetto sul quale si esercitano, lo irrigidiscono e lo falsificano, ovvero si spezzano nello sforzo%).»

1) Weltanschauung und Dichtung. Zürich 1917. S. 66.
2) Gesucht wurden sie in dieser Arbeit freilich nicht absichtlich.

Fügen wir bei, daß Hermann Nohl in seinem Buche ,,Stil und Weltanschauung" (Jena 1920) in typischen Kunststilen der Malerei und der Musik Auswirkungen der philosophischen Typen Diltheys :sieht. Er betrachtet in der Malerei vor allem die Form, d. h, den Maßstab des Sehens, die verschiedene Lage der Augenpunkte, die Nähe oder Forne des Bildes. Zu nennen wäre hier auch Max Deutschbeins Versuch (Sprachpsychologische Studien. 1918), die Übereinstimmung der Denkakte, die den Tempora der Vergangenheit entsprechen, mit den drei Diltheyschen Weltanschauungstypen nachzuweisen (passé défini : Naturalismus; passé indéfini: Idealismus der Freiheit; imparfait: objektiver Idealismus).

3) Nuovi saggi di ostetica. 2a ed. Bari 1926. S. 294.

Verzeichnis der Namen und Werke.

Aimeri de Narbonne 25.
Alexiuslied 17, 20-21, 64.
Alfieri 59, 60, 62, 71, 115, 156.
Aliscans 25, 96.
Anet, Cl., 111.
Annolied 17.

Ariost 30, 31, 36-41, 64, 103,
104, 112, 126–129.
Arnim, Achim von, 120- 121.
Arnold, M., 13.

Aspremont, Chanson d', 25.
Aufricht, H., 2.

Aulhorn, Edith, 82.

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Corneille 31, 44-46, 47, 111.
Couronnement Louis 17, 24 — 25,
26, 115.

Croce, B., 45, 46, 73, 126,
127, 157.

D'Annunzio 83, 132.

Dante 17, 29-30, 34, 39, 40,
41, 42, 45, 122–123, 140.
Daudet, A., 107.

D'Azeglio 59, 60, 112, 132.
Deledda, Grazia, 139–140.
Delille 141.

De Sanctis 123, 127.
Deutschbein, M., 157.
Diderot 88, 102.

Dilthey, W., 16, 90, 156, 157.
Droste-Hülshoff, Annette von,
121.

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Genevoix, M., 138.

Georgslied 17, 18.
Gide, A., 154.

Goethe 30, 32-33, 34, 61, 63,
65-66, 114, 119, 121.
Goldoni 112, 130.
Goll, J., 137.

Gottfried von Straßburg 17, 18,
19, 26, 28, 40, 110.
Gotthelf, J., 57, 71, 73-80,
107, 109, 116, 119, 156, 157.
Gozzi, C., 59.
Grimm, J., 57, 73.
Grimm, W., 27, 57.
Grimmelshausen 119, 151.
Grosse, R., 27.
Grossi, T., 131–132.
Gryphius 119.
Gudrun 40.

Guerrazzi, D. F., 132.
Gundolf, F., 44, 73.

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Herdin, E., 93, 107-108, 109,

114, 118, 119.

Hertz, W., 117.
Herzog Ernst 40.

Heusler, A., 14, 17-18, 21, 22, 29, 40.

Hilka, A., 25, 26, 27, 28.
Hirzel, R., 14.

Hodler, F., 51.

Hoffmann, E. T. A., 66.
Holz, A., 8, 87, 109, 111.
Homer, 7, 16, 23.

Huch, Ricarda, 34, 67, 78.
Hugo, V., 118.

Huon de Bordeaux 104.

Immermann 110.
Ineichen, A., 78.

Jaloux, E., 97.

Jbañez, V. B., 138. Jehan de Paris 31. Jordan, L., 115.

Joyce, J., 137.

Kalepky, Th., 82, 85, 106.
Karlsreise 97.

Keller, G., 66-67, 78, 110, 121.

Keller, W., 16.

Kleist 30, 44, 71-73, 115, 157.
Klinger, M., 32.
Klopstock 34, 155.

La Bruyère 88, 89.

Lafayette, Mme de, 151. Lafontaine 32, 64-65, 103, 118, 129.

Lagerlöf, Selma 34.
Laharpe 60.

Lanson, G., 45, 140.
Leodegarlied 17, 20.

Lerch, E., 41, 85, 113, 116, 122.

Lerch, Gertr., 85, 107, 116.
Lesage 151.

Lips, Marg., 5, 65, 82, 89, 92f.,
109, 113, 116, 117, 118, 120.
Lorck, E., 82, 83, 99, 100, 113,
114.
Lothringerepos 25.
Ludwig, O., 148–150.

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Massis, H., 36.

Maupassant 73, 83, 133.
Mauriac, F., 3-4.

Mauthner, F., 121.
Mazzei, L., 54, 55.

Meier Helmbrecht 17.
Ménestrel de Reims 15-16, 94.
Mennicken, F., 114.
Merigarto 17, 18.

Meyer, C. F. 36, 46-48, 52, 121, 155.

Mörike 121.

Moniage Guillaume 104.

Morand, P., 112.

Morf, H., 15.

Müller-Freienfels, R., 34.

Müller, R., 27.

Muret, G., 76.

Muspilli 18.

Naumann, H. u. Ida, 14. Nibelungen 17, 18, 21, 22, 28, 40.

Nietzsche 46.

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