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Diese Bedeutung hat sie in Thomas Manns Schiller-Skizze ,,Schwere Stunde":

(Es ist schon spät am Abend, Schiller arbeitet am,,Wallenstein“. Er steht wie ein Verzweifelter vom Schreibtisch auf, denn die Dichtung will nicht vorwärtskommen, der inspirierende Zustrom stockt, schier unüberwindliche Hindernisse stellen sich der Ausführung entgegen, und der immer kränkliche Dichter ist von nagenden Zweifeln geplagt):

Er stand am Ofen und blickte mit einem raschen und schmerzlich angestrengten Blinzeln hinüber zu dem Werk, von dem er geflohen war, dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend, sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte, es stand schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein Katarrh und seine Müdigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die eine unglückselige und der Verzweiflung geweihte Empfängnis war?

Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen, denn oft bewirkte die räumliche Entfernung vom Manuskript, daß man Übersicht gewann, einen weiteren Blick über den Stoff, und Verfügungen zu treffen vermochte. Ja, es gab Fälle, wo das Erleichterungsgefühl, wenn man sich abwendete von der Stätte des Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere Begeisterung, als wenn man Likör nahm oder schwarzen, starken Kaffee .. Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen. Wenn sie ihm über das Hemmnis hülfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam widerraten: der andere, der dort in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wußte zu leben, zu schaffen; mißhandelte sich nicht, war voller Rücksicht gegen sich selbst ...

(Eine Bitterkeit überkommt ihn. Das genialische Feuer flackert nicht mehr wie früher. Nun, da die Jahre des Darbens. vorbei sind, ist er erschöpft und fertig, ein gebrochener Mann, von Schmerzen heimgesucht, sein Leben und seine Kunst ein Kampf mit Schmerzen ...)

Der Schmerz ... Wie das Wort ihm die Brust weitete! Er reckte sich auf, verschränkte die Arme; und sein Blick, unter den rötlichen, zusammenstehenden Brauen, beseelte sich mit schöner Klage. Man war noch nicht elend, ganz elend noch nicht, solange es möglich war, seinem Elend eine stolze und edle Benennung zu schenken. Eins war not: Der gute Mut, seinem Leben große und schöne Namen zu geben!

Ganther, Probleme der Rededarstellung.

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(Der Glaube an den Schmerz muß helfen. Ist nicht das Talent auch Schmerz? Nur bei den Stümpern und Dilettanten sprudelt es. Das Talent ist eine Ungenügsamkeit, die sich ihr Können nicht ohne Qual erst schafft und steigert...)

Nicht klagen! Nicht prahlen! Bescheiden, geduldig denken von dem, was man trug! Und wenn nicht ein Tag in der Woche, nicht eine Stunde von Leiden frei war was weiter? Die Lasten und Leistungen, die Anforderungen, Beschwerden, Strapazen gering achten, klein sehen das war's, was groß machte!

(Seine hageren Wangen röten sich, der heimliche Rausch des Ruhms ist in seinem Blut. Um das Hohe streiten und sich aufzehren in seinem Dienst! Dies ist seine Eifersucht: daß niemand größer werde als er, der nicht auch tiefer als er um dieses Hohe gelitten...)

Niemand! ... Er blieb stehen, die Hand über den Augen, don Oberkörper halb seitwärts gewandt, ausweichend, fliehend. Aber er fühlte schon den Stachel dieses unvermeidlichen Gedankens in seinem Herzen, des Gedankens an ihn, den anderen, den Hellen, Tastseligen, Sinnlichen, Göttlich-Unbewußten, an den dort, in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte Und wieder, wie stets, in tiefer Unruhe, mit Hast und Eifer, fühlte er die Arbeit in sich beginnen, die diesem Gedanken folgte: das eigene Wesen und Künstlertum gegen das des anderen zu behaupten und abzugrenzen... War er denn größer? Worin? Warum? War es ein blutendes Trotzdem, wenn er siegte? Würde je sein Erliegen ein tragisches Schauspiel sein? Ein Gott, vielleicht ein Held war er nicht. Aber es war leichter, ein Gott zu sein, als ein Held! Leichter . . . Der andere hatte es leichter! Mit weiser und glücklicher Hand Erkennen und Schaffen zu scheiden, das mochte heiter und quallos und quellend fruchtbar machen. Aber war Schaffen göttlich, so war Erkenntnis Heldentum, und beides war der, ein Gott und ein Held, welcher erkennend schuf!

Der Wille zum Schweren ... Ahnte man, wieviel Zucht und Selbtüberwindung ein Satz, ein strenger Gedanke ihn kostete? . . .

(Welch Ringen, welch Leidensweg vom ersten Beginn bis zur Vollendung! ...)

Wunder der Sehnsucht waren seine Werke, der Sehnsucht nach Form, Gestalt, Begrenzung, Körperlichkeit, der Sehnsucht hinüber in die klare Welt des anderen, der unmittelbar und mit göttlichem Mund die besonnten Dinge bei Namen nannte.

Dennoch, und jenem zum Trotz: Wer war ein Künstler, ein Dichter gleich ihm, ihm selbst? Wer schuf, wie er, aus dem Nichts, aus der eigenen Brust?

(Nur nicht grübeln, sondern arbeiten, gestalten, fertig werden! ...

Und mit neuem Mut setzt er sich an die Arbeit, der Alpdruck weicht, und siehe, wie das Werk fertig ist, da ist es auch gut. -)

Thomas Mann hat sein künstlerisches Selbstbekenntnis in diese Skizze gelegt. Den Namen Schillers nennt er nicht, wie um seine Worte über den Einzelfall hinaus zu erheben. Die erlebte Rede gibt den Aussagen einen überpersönlichen Wert und breitet den Glanz menschlich-künstlerischer Wahrheit über sie.

IV. Abschnitt.

Formen der Erzählung.

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Auf die zwei Elemente jeder epischen Darstellung, die Handlung und die Rede, gründet sich, je nach dem Vorherrschen des einen oder des anderen, die schon in unserer Einleitung angedeutete Unterscheidung von zwei Formen der Erzählung: des epischen Berichts und der dramatischen Darstellung. Deren Eigenart ist besonders seit Otto Ludwigs ,,Epischen Studien" klarer ins kritische Bewußtsein getreten, und man bezeichnet sie mit ihm gerne als eigentliche und szenische Erzählung. Ludwig charakterisiert sie u. a. folgendermaßen:

Er

In der eigentlichen Erzählung wird erzählt,,,wie man im gewöhnlichen Leben zu erzählen pflegt. Der Erzähler referiert und muß sich wohl hüten, Dinge zu detaillieren, die er weder selbst erlebt, noch von einem anderen erfahren haben kann... Der Erzähler wird sein Wissen um die Sache motivieren müssen. wird in der Regel in medias res anfangen, doch kann er das früher Geschehene als Erläuterung an der Stelle, die dessen bedarf, beibringen... In der Darstellung innerer Entwicklungen, allmählichen Werdens, in alledem, worin der Verstand besonders mittätig ist, hat diese Art zu erzählen den Vorteil; aber eben wegen der ihr möglichen Stetigkeit läuft sie Gefahr, den Leser durch Spannung oder Einförmigkeit zu ermüden, d. h. peinlich oder aber langweilig zu werden."

In der szenischen Erzählung erlebt der so Erzählende die Geschichte,,und läßt sie den Leser miterleben. Er braucht nicht zu motivieren, wie er dazu kommt, zu wissen, was er erzählt. Hier ist die Kunstmäßigkeit bemerklicher. Er hat viele Prozeduren mit dem Dramatiker gemein, er muß seinen Vorgang in Ort und Zeit sammeln, ja er arbeitet auf eigentliche theatralische Effekte hin ... Der Leser erfährt nicht abstrakt die Sache, sondern sie wird ihm vor das innere Auge gestellt.

Natürlich ist es, daß diese Darstellung eine mehr äußerliche sein wird als jene. Der Erzähler bedient sich aller der mimischen Mittel, durch welche der Dramatiker seinen Vorgang vor das äußere Auge und Ohr des Zuschauers stellt, um den Leser zu einer Art Zuschauer und Zuhörer zu machen, der seine Gestalten sieht und ihre Reden hört — aber mittels des inneren Sinnes ... Diese Art der Erzählung setzt die Existenz des eigentlichen Dramas voraus; Leute, die davon nichts wüßten, würden sich in dieser Art der Erzählung nicht zu orientieren wissen." Ludwig zählt die Vorteile, die die szenische Erzählung vor dem Drama voraus hat, auf, er betont besonders die ungleich größere Unabhängigkeit in der Ausnutzung der Mittel, über die der Erzähler verfügt. Er fährt weiter:,,Die Erzählung nach a erzählt in der Regel die Dinge in derselben Reihenfolge, in der sie geschehen sind, zuweilen schaltet der Erzähler etwas Frühergeschehenes ein, das Vorhergehende oder auch das Nächstkommende zu erklären. Immer aber ist es der Erzähler, der zu seiner Bequemlichkeit oder um des Verständnisses willen dergleichen tut. Der Erzähler stellt sich und sein Erzählen zugleich mit dar; er muß zugleich seine Erzählung beglaubigen. Hier ein episches Medium, mache es sich nun mehr oder weniger bemerklich. Bei b dagegen fällt dieses Medium als dargestelltes völlig weg; b erzählt nicht nach der Reihenfolge, sondern die Gesichtspunkte der Spannung des Effektes, der idealen Bedeutung (kontrastierende Parodie) bestimmen die Ordnung. b verfährt weit mehr indirekt als a; bei seinen Arrangements gibt der Erzähler nie einen Grund... Bei a ist die historische Glaublichkeit, der Kredit des Erzählers ein Hauptpunkt; seine Geschichte muß überall bewiesen werden, bei b dominiert nur die ästhetische Zweckmäßigkeit."

Ludwig beschreibt, ganz logischerweise, auch „eine dritte Art c, welche aus der von und b zusammengesetzt ist und die Vorteile beider vereinigen kann, die psychologische Entwicklung, überhaupt die stete Darstellung innerer und äußerer Vorgänge, die Kausalität des Verstandes, die lyrische Innigkeit des Gemüts, auch die Gedrängtheit von a mit der detaillierten Mimik, charakteristischen Ausmalung der äußeren Erscheinung und dem erfrischenden Springen der freien Phantasie von b. Diese Art fügt den Reiz des Problematischen zu dem des genauen Durchschauens von Personen und begebenheitlichen Zusammenhängen, sie mischt nach Absicht des Erzählers Handlung und

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