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3weites Capitel.

Geschichte der englischen und schottischen Poesie in diesem Zeitraume,

Die englische Poesie ist aus zwei Quellen

geflossen, die von den Litteratoren bisher nicht genug unterschieden wurden. Die schottische Poesie hat genau denselben Ursprung. Eine dieser Quellen ist der alte Volksgesang, der vor der normännischen Eroberung in England und im südlis chen Schottland einheimisch war. Die Gedichte, in denen dieser Volksgesang fortdauerte, sind die alten Lieder und Balladen. Aehnlich den Bals laden durch mehrere Züge des romantischen Geistes find die englischen und schottischen Ritterroma nen in Versen; aber diese Ritterromane sind zum Theil ganz französischen Ursprungs, zum Theil wenigstens durch Nachahmung französischer Gedichte von derselben Gattung entstanden. Mit den Rits terromanen lernten die Engländer und Schotten zus gleich die kleineren, ernsthaften und komischen Erz zählungen oder Fabliaux und die allegorischen Gedichte der Franzosen kennen 9); und auch diese wurden in englischer und schottischer Sprache nach: geahmt. Die alte Volkspoesie der Engländer und Schotten traf mit der Nachahmung der französischs

romans

q) Vergl. die ausführliche Charakteristik der alten frans zösischen Nationalpoesie, im fünften Bande dieser Gesch. der Poesie und Beredsamkeit.

romantischen sehr bald in einem gewissen Nationals tone, und nicht selten auch in der Wahl desselben Stoffs, zusammen. Zuweilen ging auch der nachs geahmte Styl des französischen Ritterromans in den Styl der Ballade über. Aber die Verschiedenheit zwischen dem poetischen Charakter und der metris schen Form der alten Lieder und Balladen und den Nachahmungen französischer Gedichte in der alten englischen und schottischen Litteratur ist doch merklich genug.

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Daß die alte Lieder: und Balladenpoesie die wahre Nationalpoesie der Engländer und der Bewohner des südlichen Schottlands ist, läßt sich nicht bezweifeln. Wenn es unter den französischen Liedern, die mit den ersten und noch rohen Versus chen in der Kunst des Ritterromans von den Nors mannen nach England hinüber gebracht wurden, solche Gesänge gegeben hätte, wie die englischen und schottischen Balladen sind, so würde sich wes nigstens etwas von ihnen auch in der französischen Poesie erhalten haben, die bald nachher vorzüglich durch die Normannen in Frankreich cultivirt wurde. Aber in der alten französischen Poesie findet sich keine Spur von erzählenden Gedichten in lyrischen Syl: benmaßen, oder von Volksliedern, deren Inhalt kleine Abenteuer des Zeitalters, wirkliche Begebens heiten, die sich im Vaterlande der Dichter ereigneten, und fabelhafte Situationen gewesen wären, die der eis gentliche Ritterroman mit der Ballade gemein hat: Das Wort Ballade hatte in Frankreich eine ganz andere Bedeutung, als in England; und als die Engländer dieses Wort annahmen, um eine Arc von Volksgesängen zu bezeichnen, die vermuthlich

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vorher noch keinen besondern Nahmen hatte, dach, ten sie dabei nicht an die französischen, durchaus lyrischen, und nur durch eine eigene metrische Form von den übrigen Liedern verschiedenen Balladen ). Auch die schwermüthigen und elegischen Gefühle, die in den englischen Balladen so oft ertönen, was ren dem französischen Charakter wenig angemessen. Die einzige Nation, von der die Engländer die alte Balladenpoesie hätten lernen können, sind die Spanier; denn die spanische Romanze unterscheis det sich von der englischen Ballade nur durch das trochäische Sylbenmaß, an dessen Stelle in der englischen Ballade das jambische herrscht, und durch gewisse Charakterzüge, an denen man den Spanier erkennt. Aber weder vorher, noch um die Zeit, als die englische Balladenpoesie zugleich mit der spanischen Romanzenpoesie aufblühete, stauden beide Nationen, deren alte Volfsgesänge einander so ähnlich sind, in einer Verbindung, die eine solche Uebereinstime mung ihres poetischen Geschmacks hätte bewirken können. Nur aus einem zufälligen Zusammentrefs fen von ähnlichen Ursachen unter ähnlichen Umstän den läßt sich die merkwürdige Verwandtschaft der spanischen Romanze und der englischen Ballade ers flåren.

Wollen wir die englische und schottische Bals ladenpoesie bis zu ihrem Ursprunge verfolgen, fo müssen wir zurückgehen zu den alten Liedern, die in dem Theile der großbritannischen Insel, wo Völker von germanischer Abkuuft sich niederges Laffen

qq) Vergl. den fünften Band dieser Gesch. der Poesie u. Beredsamkeit. S. 75. 5, 60 Bourerwer's Gesch. d. schön. Redek, VII, B.

lässen hatten, schon vor der normånnischen ́Erobes rung gesungen wurden. Solche Lieder hatten die Angelsachsen vielleicht mit den Pikten, und gewiß mit den Dånen gemein. Von dem großen angelfächsischen König Alfred wird erzählt, daß er sich, als er noch versteckt und flüchtig umber irrte, als Sånger verkleider in das Lager der Dånen gewagt, und sich dieses Mittels bedient habe, die Stärke und Lage seiner Feinde auszukundschaften. Von den Skandinavischen Völkern ist bekannt, daß sie besons ders heroifche Lieder liebten. Das Lied des Muths, daß der König Lodbrog fang, als er in die Grube geworfen war, um lebendig von Schlangen gefressen zu werden, war nicht einzig in seiner Art. Hätten die Angelsachsen zu der Zeit, als die dänischen Abenteurer in England einbrachen, nicht ähnliche Lieder gehabt, wie die Dånen, von deren Sprache auch damals die angelsächsische nicht sehr verschieden war, so würde dem König Alfred, nicht gelungen seyn, den Dånen etwas vorzusine gen, das ihnen gefiel. Zu den Liedern des Muths gesellten sich, nach der Denfart der germanischen Wölfer, vermuthlich sehr frühe auch Lieder der Liebe. Aber alle diese alten Lieder der Angelsach sen find verloren und vergessen. Bir dürfen nut schließen, daß derselbe Geist der Liederpoesie, die bei den Angelsachsen, und vielleicht auch bei den Picten im südlichen Schottland, einheimisch war, auch nach der normannischen Eroberung sich im Andenken des Volks erhielt und durch den Einfluß der neuen Sitten und der französischen Lieder und Romane zwar merklich modificirt, aber nicht ausgetilgt wurde. Mit diesem Schlusse stimmen auch die zuvers lässigen Nachrichten, die wir von den alten englischen

und

und schottischen Balladen und Lieder☛ haben, völlig überein. Das wahre Vaterland dieser Balladen und Lieder waren die nördlichen Provinzen (the north.country) von England und die mit diesen zus sammenhängenden südlichen Provinzen von Schotts land '). Dorthin wirkte der Einfluß der franzöfi» schen Normannen am schwächsten. Dort erhielt fich die alte Sprache am långsten unverändert. Die normannischen Ritter, die sich auch in diesen Gegenden mit gewaffneter Hand niederließen, Schlöss ser baueten, und Baronien stifteten, verachteten dent einheimischen Volksgesang, den sie nicht verstanden. Die alte Nationalpoesie blieb also dem gemeinen Manne überlassen. Sie wurde Volksgesang im enge ften Sinne des Worts. Sie erhielt sich deßwegen auch nachher, als sie von den Nachkommen der normännischen Eroberer nicht mehr verschmähet wurde, in einer eigenen Arr von Simplicitát, die bis auf die neuesten Zeiten ihr kräftigster Charaks terzug geblieben ist. Aber die ritterlichen Fehden und Abenteuer der normännischen Eroberer und ihe rer Nachkommen gaben einen neuen Stoff zu Lies Dern im alten germanischen Styl. Gewohnt, hes roische Großthaten wie eigentliche Lieder zu singen, wählten die Volksdichter bald Begebenheiten aus Der

1) Vergl. Warton, Percy, Pinkerton, und alle
Litteratoren, die genauere Nachricht von den alten en
glischen und schottischen Balladen und Stedern geben.
Ein sehr altes, von Warton (P. I. p. 43.) angeführs
tes Spöttlied auf den englischen Prinzen und römis
schen König Richard wird von einigen Litteratøren zu
den Balladen gezählt; aber es gehört zu einer ganz aus
dern Gattung von Gedichten.

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